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Tempo 30 auf dem Land: Notwehr oder Unsinn?

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Um diesen Fußgängerweg auf der Talstraße in Egloffstein ging es der Gemeinde zunächst. Jetzt würde sie auch andernorts gern das Tempo verringern lassen. Foto: Rolf Riedel

Dieser Tage war wiederholt in der Zeitung zu lesen, dass die Gemeinde Egloffstein in ihren beiden Haupt-Ortsdurchfahrten gerne Tempo 30 einführen würde. Und zwar aus dem Grund, dass Fußgänger die Straße ungefährdeter als bisher überqueren können. Vor allem Schulkinder, aber grundsätzlich jeder Fußgänger soll dadurch besser vor den mit Tempo 50 durchfahrenden Autos geschützt werden. Ein legitimes Anliegen, doch die Straßenverkehrsbehörde am Landratsamt (es geht hier um Staatsstraßen) lehnt das Ansinnen ab. Ihr fehlt angeblich die Rechtsgrundlage für eine Geschwindigkeitsreduzierung:

„Nur dann, wenn angenommen werden muss, dass die Kraftfahrer selbst bei ausreichender Aufmerksamkeit nicht erkennen können, dass eine bestimmte Strecke oder Stelle nur mit einer verminderten Geschwindigkeit befahren werden darf, ist eine Reduzierung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit (50 km/h) zulässig“.

Das heißt nichts anderes als: Selbst bei Tempo 30 würden die Autofahrer 50 oder schneller fahren, weil die Straße so breit ausgebaut und übersichtlich ist, dass der Autofahrer keinen Grund für ein geringeres Tempo sieht.

Diese Argumentation aus der Windschutzscheibenperspektive entspricht einem Offenbarungseid der Straßenverkehrsbehörde. Es geht offensichtlich bei der Beurteilung einer möglichen Gefährdung von Menschen in erster Linie darum, die Interessen und vermuteten Verhaltensweisen des im Auto sitzenden und schnell von hier nach dort fahrenden Menschen zu berücksichtigen. Es geht aber offensichtlich nicht um die Menschen, die hier leben und sich subjektiv mit einem Problem konfrontiert sehen. Nicht nur die Schulleitung hat sich hinter die Forderung des Gemeinderates nach Tempo 30 gestellt, sondern auch die in Egloffstein sehr erfolgreiche und aus der Mitte der Bürgerschaft entstandene Zukunfts-Werkstatt. Deren Argumente mit einem solchen formaljuristischen Argument abzubügeln, ist aus meiner Sicht nicht nur unangemessen und unsensibel. Es wird auch noch aufs Amt und auf die Verkehrsplanung insgesamt zurückschlagen.

In vielen Reden, Zukunftsräten, Kommissionen, Arbeitskreisen und sonstigen wichtigen Runden wird seit Jahren die Frage durchgewalkt, wie der ländliche Raum zukunftssicher gemacht werden kann. Die Ergebnisse der jüngsten Volkszählung zeigen, dass sich der schon seit über einem Jahrzehnt vorhergesagte Trend bestätigt und verstetigt: Die Jungen ziehen in die Städte, wenn sie können, zurück bleiben die Alten. Das kann doch niemand einfach so hinnehmen.

Ich will nicht, dass das flache Land entvölkert wird oder nur noch als Kulisse für den Fremdenverkehr aufrecht erhalten bleibt. Ich will nicht, dass wir Verhältnisse wie in vielen Gemeinden am Mittelmeer erhalten, wo die malerischen Häuser nur noch als Ferienbehausungen dienen, während die Einheimischen entweder ganz weggezogen sind oder nur noch als Vermieter auftreten.

Deswegen habe ich mich auch schon früher wiederholt dafür ausgesprochen, an der Pendlerpauschale nichts zu ändern. Wenn das Leben auf dem Land, in einiger Entfernung zu städtischen Siedlungen mit ihrem ungleich größeren Angebot an Bildungs- und Freizeitangeboten, so unattraktiv wird, dass die jungen, die gut ausgebildeten, die kulturell aktiven Bürgerinnen und Bürger das Weite suchen, dann stirbt am Ort zunächst das gesellschaftliche Leben, das schon heute 0ft nur noch mühsam von Vereinen aufrecht erhalten werden kann, dann geht die Selbstverwaltung und mithin die Demokratie flöten, weil die nämlich vom Mitmachen lebt, und schließlich kann der Letzte die Tür zusperren.

Und jetzt komme ich auf Tempo 30 zurück: Wenn eine Gemeinde dies für ihre Ortsdurchfahrt wünscht, dann doch nicht aus Jux unf Tollerei, sondern – wie im Fall Egloffstein – mit gutem Grund. Der Fall liegt anders als in Thuisbrunn. Dort hat der Stadtrat von Gräfenberg Tempo 30 in der Ortsmitte eingeführt, damit die bierseligen Nutzer des “Fünf-Seidla-Steigs”, die bisweilen die gesamte Fahrbahnbreite beanspruchen, einigermaßen gefahrlos durch den Ort torkeln können (das ist jetzt ein wenig boshaft, ich weiß). Davon ist Egloffstein weit entfernt, und auch Effeltrich, wo neuerdings ebenfalls aus der Mitte der Bevölkerung der Ruf nach Geschwindigkeitsreduzierung erhoben und vom Gemeinderat unterstützt wird. Solche Wünsche sind auch als Ruf nach mehr Lebensqualität auf dem Land zu verstehen. Sie dürfen nicht aus Sicht der Windschutzscheibenraser beurteilt werden. Es spricht doch Bände, wenn sich die Straßenverkehrsbehörde des Landratsamtes auf die fachliche Beurteilung des Straßenbauamtes Bamberg beruft (es wurde vor ein paar Jahren in einem Akt der Umetikettierung umbenannt in Staatliches Bauamt, ich weiß). Dieses Amt ist nicht dazu da, die Sicht von Fußgängern oder gar Kindern einzunehmen. Es ist dazu da, Straßen zu planen.

Tempo 30 in Ortsdurchfahrten ist also aus meiner Sicht eine legitime Notwehr-Aktion. Und mal ehrlich: Es tut auch keinem Autofahrer weh, ein wenig langsamer durch den Ort fahren zu müssen. Es gibt bei einer solchen Geschwindigkeitsreduzierung nur Gewinner. Einzig die Bürokratie stemmt sich noch dagegen. Aber die wird ja eigentlich von der Politik gefüttert, daher hat die Politik auch dafür zu sorgen, dass sich die Paragraphen ändern. Sie wird dafür sorgen müssen, wenn das Land nicht komplett ausbluten soll, nicht nur in Bezug auf Tempo-Vorschriften.


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